Als gebürtiger Deutscher, der Tschechisch gelernt hat bzw. lernt, stehe ich bis heute vor diesem Problem: Meine Aussprache ist sehr gut, aber trotzdem klinge ich noch nicht hundertprozentig tschechisch. Ich spreche die Vokale und Konsonanten richtig aus, meine Intonation stimmt auch so weit. Aber irgendwas fehlt noch.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie frustrierend es sein kann, genaue Informationen zu finden. Und niemand kann dir genau sagen, woran genau man bei dir noch einen z.B. englischen, spanischen oder russischen Akzent hört.
Wenn du deine Stimme richtig Deutsch klingen lassen möchtest, musst du deinen Sprechapparat (witziges Wort, ich weiß, aber das ist tatsächlich der Fachbegriff) „auf Deutsch einstellen“. In diesem Artikel lernst du, welche Rolle die Klangfarbe und die deutsche phonetische Basis spielen, um Deutsch ohne Akzent sprechen zu können und mehr wie Muttersprachler zu klingen.
Inhaltsverzeichnis
Die Rolle der Artikulationsbasis für akzentfreies Deutsch
So entsteht unsere Stimme
Stimmsitz, Artikulationsbasis und Klangfarbe
Sprachvergleich: Artikulationsbasis verschiedener Sprachen
Artikulationsbasis im Deutschen: So lässt du deine Stimme deutsch klingen
Übung zu Klangfarbe und Stimmsitz
Weitere Merkmale der Artikulationsbasis für akzentfreies Deutsch
Fazit
Die Rolle der Artikulationsbasis für akzentfreies Deutsch
Vielleicht hast du dich schon oft gefragt, warum deine Aussprache trotz intensiven Lernens und Übens immer noch nicht ganz so klingt wie die eines deutschen Muttersprachlers.
Natürlich kann das an der Aussprache im Allgemeinen oder an der Prosodie bzw. Intonation liegen. Falls dich das interessiert, schau dir gerne mal meinen Artikel zu den Grundlagen der Satzmelodie an.
Es ist aber auch so, dass die Artikulationsgewohnheiten deiner Muttersprache tief verwurzelt sind. Diese beeinflussen deinen Stimmsitz und die Klangfarbe deiner Stimme.
In den kommenden Abschnitten tauchen wir tief in die Funktionsweise deiner Stimme ein und klären die Bedeutung von Stimmsitz, Artikulationsbasis und Klangfarbe. Du wirst lernen, wie du diese Elemente gezielt beeinflussen kannst, um akzentfrei Deutsch zu sprechen.
So entsteht unsere Stimme
Vokaltrakt, wichtige Begriffe auf Deutsch, Quelle: Die menschliche Stimme (Gerhardt Kaiser)
Stimmsitz, Artikulationsbasis und Klangfarbe
Begriffe
Der Stimmsitz ist der Ort, an dem die Stimme resoniert. Bei manchen Menschen sitzt die Stimme tief im Brustbereich, bei anderen eher in der Kehle und wieder bei anderen in der Nase. Das ist wie bei Musikinstrumenten: Dein Lieblingslied klingt mit einer Geige ganz anders als mit einem Klavier oder gesungen – obwohl es doch haargenau dasselbe Lied, mit demselben Rhythmus und derselben Melodie ist. So hat auch jeder Mensch einen individuellen Klang der Stimme, ein eigenes Timbre. Oft wird das auch als Klangfarbe bezeichnet.
Und auch wenn jeder von uns seine individuelle Klangfarbe hat, kann man bei Muttersprachlern einer konkreten Sprache Gemeinsamkeiten feststellen. Das ist der Grund, warum deutsche Muttersprachler eben automatisch deutsch klingen. Um akzentfrei Deutsch sprechen zu können, solltest du eine möglichst deutsche Klangfarbe erreichen und deinen Stimmsitz verändern.
Einer meiner ersten Kunden in meiner Online-Akademie war Andrea aus Italien. Er ist Chemielehrer, arbeitet in der Schweiz und sprach schon, als ich ihn kennengelernt habe, fließend Deutsch. Sein Stimmsitz war aber typisch italienisch, im Kopf- und Nasenbereich, stellenweise auch kehlig. Mit der Zeit und viel Übung verlagerte er seinen Stimmsitz mehr in den vorderen Mundbereich, wie es bei deutschen Muttersprachlern üblich ist. Heute klingt er viel natürlicher, wenn er Deutsch spricht.
All das ist eng mit der Artikulationsbasis verbunden. Jede Sprache hat ihre eigene phonetische Basis. Das heißt: Die Sprechorgane – Zunge, Lippen, Zähne, Kiefer, Gaumensegel und Kehlkopf – bewegen und positionieren sich je nach Sprache unterschiedlich. Obwohl alle Menschen dieselben Sprechorgane haben, kann die Art und Weise, wie sie diese benutzen, stark variieren.
Die Muttersprachler jeder Sprache teilen eine spezifische Grundhaltung von Zunge, Lippen, Zähnen, Kiefer, Gaumensegel und Kehlkopf, als „Vorbereitung auf das Sprechen“.
Jemand, dessen Muttersprache Englisch ist, würde das deutsche Wort du typischerweise genau wie das englische Wort do aussprechen. Kein Wunder: Das IPA gibt für beide Wörter dieselbe Aussprache an: [duː]. Erkennst du trotzdem einen Unterschied, wenn du dir die beiden Wörter anhörst? (Klick dazu einfach auf das Lautsprechersymbol.)
Quelle: Cambridge Dictionary | Quelle: Wiktionary |
🔈 do (EN) | 🔈 du (DE) |
Sprachvergleich: Artikulationsbasis verschiedener Sprachen
Englisch
Im Englischen ist der Stimmsitz tief im oberen Brustbereich. Die englische Artikulationsbasis zeichnet sich dadurch aus, dass die Zunge etwas nach unten und hinten gezogen wird, die Lippen wenig beteiligt sind und der Kehlkopf sehr tief steht. Dadurch entsteht eine dunkle Klangfarbe, die sich für deutsche Ohren oft wie ein „Kloß im Hals“ anhört.
Ukrainisch und Russisch
Im Russischen und Ukrainischen können wir etwas Ähnliches beobachten. Auch dort ist die Artikulationsbasis eher nach hinten gerichtet, sodass eine dunklere Klangfarbe als im Deutschen entsteht. Außerdem gibt es viele (vor allem männliche) Sprecher des Russischen und Ukrainischen mit Stimmsitz in der Kehle. In diesen Sprachen wird diese kehlige Klangfarbe nur selten als Abweichung wahrgenommen. Im Deutschen ist eine kehlige Klangfarbe aber untypisch und sehr auffällig.
Romanische Sprachen
In romanischen Sprachen wie Französisch, Italienisch oder Spanisch etwa sitzt die Stimme viel weiter vorn bzw. im Nasenbereich. Die Lippenbewegungen sind viel stärker, die Zunge ist weit nach vorn gedrängt, der Kehlkopf ist weit oben. So entsteht eine sehr helle Klangfarbe.
Chinesisch und Vietnamesisch
Auch diese Sprachen sind bekannt für ihren Stimmsitz im Nasenbereich. Die Zunge ist weiter angehoben, das Gaumensegel ist öfter abgesenkt. So entsteht ein sehr nasaler Klang, der für das Deutsche untypisch ist. In vielen Fällen kann das dazu führen, dass die Menschen im deutschsprachigen Raum ein falsches Bild von dir bekommen. Eine zu nasale Stimme wird nämlich von vielen unbewusst als unsicher wahrgenommen. Das heißt, es kann passieren, dass die Menschen dich nicht auf Augenhöhe behandeln und deine Kompetenz falsch einschätzen. Das passiert in vielen Fällen wie gesagt unbewusst und nicht absichtlich.
Artikulationsbasis im Deutschen: So stellst du deine Stimme auf Deutsch ein
Im Deutschen ist der Stimmsitz nach vorn gerichtet. Die deutsche Artikulationsbasis ist viel weiter vorn als die russische, ukrainische und englische. Die Zunge hebt sich im Deutschen meistens relativ weit vorne in Richtung Gaumen, die Lippen sind aktiv an der Artikulation beteiligt. Wenn deine Muttersprache also eine dieser Sprachen ist, musst du deinen Stimmsitz nach vorne richten, um deutsch klingen bzw. akzentfrei Deutsch sprechen zu können.
Die phonetische Basis des Deutschen ist aber nicht so weit vorn wie die italienische, portugiesische, spanische und französische. Die deutsche Sprache hat keinen nasalen Klang. Das ist für dich besonders relevant, wenn deine Muttersprache eine romanische Sprache ist.
Die typisch deutsche Klangfarbe ist allgemein gesagt ziemlich hell. Wenn deine Muttersprache eine romanische Sprache ist, solltest du aber eben beachten, dass die deutsche Klangfarbe etwas dunkler (also die Artikulationsbasis weiter nach hinten gerichtet) ist. Wenn du also deutsch klingen möchtest, musst du als Muttersprachler einer romanischen Sprache deinen Stimmsitz etwas nach hinten verlagern.
Wenn du eine romanische Sprache, Chinesisch oder Vietnamesisch als Muttersprache sprichst, solltest du generell darauf achten, auf Deutsch nicht nasal zu sprechen. Du kannst dir auch vorstellen, deine Stimme etwas nach unten zu verschieben. Versuche, deine Zunge abzusenken und deinen Kehlkopf zu entspannen, wenn du Deutsch sprichst.
Übung zu Klangfarbe und Stimmsitz
Aber wie geht das überhaupt? Wie kannst du nun deinen Stimmsitz und somit deine Klangfarbe selbst verändern? Besonders deutlich kann man die Klangfarbe am Vokal [aː] erkennen. Auch der Konsonant [l] ist gut geeignet, um den Unterschied zwischen einer hellen und dunklen Klangfarbe zu erkennen. Laut Wörterbuch haben die folgenden Wortpaare jeweils dieselbe Aussprache.
Trotzdem ist aber ein Unterschied hörbar. Klick einfach auf das Lautsprechersymbol, um das jeweilige Audio abzuspielen:
Erfahre mehr über die Unterschiede in der phonetischen Basis verschiedener Sprachen im exklusiven Mitgliederbereich meiner Online-Akademie. Wenn du Deutsch mindestens auf B2-Niveau sprichst (ungefähr) und natürlicher bzw. weitgehend akzentfrei Deutsch sprechen möchtest, ist meine Online-Akademie wie für dich gemacht.
In diesem Video zeige ich dir eine Übung, mit der du deine Klangfarbe verändern kannst. So weißt du genau, was du tun musst, um deine Stimme heller oder dunkler zu machen.
Weitere Merkmale der Artikulationsbasis für akzentfreies Deutsch
Es gibt noch viele weitere Merkmale der nach vorn gerichteten Artikulationsbasis des Deutschen:
Es gibt sehr viele Vorderzungenvokale und nur wenige Hinterzungenvokale. Das bedeutet: Bei den meisten Vokalen im Deutschen hebt sich der vordere Teil des Zungenrückens zum harten Gaumen. Auch die Hinterzungenvokale sind weiter vorn als z.B. in slawischen Sprachen oder im Englischen.
Die Lippen sind aktiv an der Artikulation beteiligt. Bei vielen gespannten (langen) Vokalen müssen die Lippen gerundet bzw. nach vorn gestülpt werden.
Der R-Laut am Ende von Wörtern oder Silben wird meist zu einem Vokal. Dies trägt dazu bei, dass die deutsche Artikulationsbasis nach vorne gerichtet ist.
Die Stimmlippen und die Muskeln im Kehlkopf sind entspannt. Der Kehlkopf ist abgesenkt, nicht bzw. wenig angehoben. Bei Menschen, die akzentfrei Deutsch sprechen, ist der Kehlkopfstand beim Sprechen fast wie in Ruhelage.
Die Stimmlippen dürfen nicht verengt werden.
Stimmlose Plosive – also [p], [t], [k] – werden aspiriert, d.h. mit hörbar ausströmender Luft artikuliert. Diese größere artikulatorische Kraft trägt dazu bei, dass die Stimme im Deutschen nach vorne gerichtet und klar ist.
Fazit
Wenn du natürlich auf Deutsch klingen bzw. Deutsch ohne (starken) Akzent sprechen möchtest, erfordert das mehr als nur die korrekte Artikulation von Vokalen und Konsonanten. Es erfordert eine Anpassung des Stimmsitzes und der Artikulationsbasis, um den charakteristischen Klang der deutschen Sprache zu erzielen.
Das Verständnis und die Anwendung der Konzepte von Klangfarbe und phonetischer Basis helfen dir, mit weniger fremdem Akzent bzw. sogar akzentfrei Deutsch sprechen zu können und somit mehr wie ein deutscher Muttersprachler zu klingen. Schon jetzt hast du einen großen Vorteil gegenüber anderen Deutschlernenden: Du weißt ja jetzt, was Stimmsitz, Klangfarbe und Artikulationsbasis sind, du kennst die Merkmale der deutschen Artikulationsbasis und du weißt eben auch, wie du selbst deine Stimme „tunen“ kannst.
Meiner Erfahrung nach gibt es viele Deutschlernende, die beim Deutschsprechen automatisch und unbewusst ihre Klangfarbe ändern. Sie merken teilweise sogar selbst, dass sie auf Deutsch anders klingen als in ihrer Muttersprache, obwohl sie sich nie bewusst mit den Themen Stimmsitz, Artikulationsbasis und Klangfarbe auseinandergesetzt haben. Diese Deutschlernenden haben andere Baustellen, die sie bewerkstelligen müssen, um akzentfrei Deutsch sprechen zu können.
Auf der anderen Seite habe ich aber auch schon mit zahlreichen Deutschlernenden gearbeitet, die – genau wie Andrea aus Italien – eine gute Aussprache hatten, kaum Schwierigkeiten mit der Prosodie, und bei denen eben die Klangfarbe die auffälligste Abweichung war.
Damit möchte ich sagen: Diese Themen sind nicht für jeden relevant.
Es ist gut möglich, dass du an deiner Klangfarbe arbeiten kannst und solltest, um wirklich deutsch klingen zu können. Es kann aber genauso gut sein, dass du schon intuitiv mit einer deutschen Klangfarbe sprichst. In dem Fall ist wahrscheinlich eher die Prosodie (also Melodie und/oder Rhythmus) der Grund, dass dein Deutsch noch nicht so klingt, wie du es dir wünschst.
Die Übung zur Anpassung der Klangfarbe, die ich im Video demonstriere, ist nur ein Anfang. Regelmäßiges Üben und die bewusste Auseinandersetzung mit der Artikulation und Phonologie des Deutschen sind unerlässlich. Stelle sicher, dass du kontinuierlich Feedback von erfahrenen Lehrkräften einholst, die auf die Aussprache spezialisiert sind. Nur so ist es möglich, Fortschritte zu erkennen und gezielt an deinen Schwächen zu arbeiten.
Denk daran, dass Sprache nicht nur eine Reihe von Regeln ist, sondern auch ein lebendiger Ausdruck von Kultur und Identität.
Indem du lernst, deine Stimme und deine Sprechwerkzeuge „auf Deutsch einzustellen“, öffnest du eine neue Tür zur kulturellen Eingliederung und zur echten Zweisprachigkeit. So wird nicht nur deine Aussprache, sondern auch dein Verständnis und deine Wertschätzung für die deutsche Sprache und Kultur vertieft.
Jeder Schritt vorwärts auf diesem spannenden Weg verbessert nicht nur deine sprachlichen Fähigkeiten, sondern auch dein Selbstvertrauen in deine Fähigkeit, dich auf Deutsch auszudrücken.
Was ist dein Eindruck? Hast du das Gefühl, dass du auf Deutsch sozusagen eine andere Stimme hast, als in deiner Muttersprache? Kennst du vielleicht Deutsche, die deine Muttersprache auf sehr hohem Niveau beherrschen, aber trotzdem irgendwie deutsch klingen? Hinterlasse gerne einen Kommentar.
Comments