Würdest du gerne deine deutsche Aussprache verbessern und fließend sprechen? In diesem Video analysieren wir eine Szene aus der deutschen Netflix-Serie Cassandra. Die hier vorgestellte Methode ist ein effektiver Weg, um die deutsche Aussprache und Prosodie zu erlernen und selbst richtig und verständlich Deutsch zu sprechen. Du lernst, Assimilationen, Reduktionen und Melodieverläufe zu erkennen und mit anschließendem Shadowing diese in deine eigene Sprache zu übertragen.
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Transkript
Hallo und willkommen bei Deutsch mit Benjamin! Ihr wollt doch fließend Deutsch sprechen, oder? Dann schauen wir uns doch heute einfach mal eine kurze Szene aus einer deutschsprachigen Netflix-Serie an. Wir nehmen die brandneue Netflix-Serie Cassandra, die gerade erst erschienen ist und in Deutschland produziert wurde. Und dann analysieren wir diese Szene ganz genau im Hinblick auf Aussprache und Prosodie, damit ihr seht, was die Sprache so natürlich macht. Meine Anmerkungen könnt ihr dann nutzen, um z. B. Shadowing zu praktizieren und so selbst eure deutsche Aussprache bzw. das fließende Sprechen zu trainieren.
Los geht's!
Ich muss noch Junos Bett beziehen.
Ich weiß nicht, David.
Sie sollte die ersten Nächte noch bei uns schlafen, //
zumindest bis die Albträume aufhören.
Ich glaube, sie braucht noch etwas Zeit.
Jetzt habe ich alles in Akzentgruppen oder rhythmische Gruppen eingeteilt. In jeder Zeile ist genau eine Gruppe. Die Silbe, die in der jeweiligen Gruppe den Primärakzent trägt, habe ich hier jeweils fett markiert und in Form dieser rosafarbenen Linie markiere ich den Melodieverlauf.
Ich muss noch Junos Bett beziehen.
In der ersten Akzentgruppe ist mir natürlich aufgefallen, dass das Wort „ich“ gar nicht mitgesprochen wurde. Dann ist mir aufgefallen, dass statt wie in der neutralen Sprechweise das Wort „Bett“ hier in diesem Fall der Name des Kindes primär akzentuiert wurde. Damit drückt der Vater ganz klar aus, dass vorher schon andere Betten – also wahrscheinlich die Betten der Eltern – bezogen wurden. Im Wort „beziehen“ hat er das e-Schwa getilgt – also nicht mitgesprochen. Er hat also nicht gesagt [bəˈt͡siːhən] mit drei Silben, sondern [bəˈt͡siːn] mit zwei Silben. Und den ganzen Satz, also die ganze Akzentgruppe hier spricht er komplett ohne Pausen.
Wenn ein Wort mit einem Konsonanten endet und das nächste Wort mit einem Konsonanten beginnt, verbindet man diese beiden Wörter im Deutschen typischerweise und das macht er hier eben auch.
Infolgedessen kommt es hier auch zu zwei Assimilationen, das heißt, dass sich die Laute dann aneinander angleichen. Durch das stimmlose [s] wird auch [b] stimmlos und statt [bɛt bəˈt͡siːn] sagt er nur [bɛt̚b̥əˈt͡siːn]. Das heißt, das [t] von „Bett“ deutet er nur an, das heißt, er platziert die Zunge zwar hinter den oberen Zähnen, so wie es für ein richtiges [t] notwendig wäre, löst diesen Verschluss aber nicht hörbar. Das liegt eben an dem [b] am Anfang von „beziehen“, denn das ist ja auch ein Plosiv – und:
Wenn im Deutschen zwei Plosive aufeinandertreffen, dann wird nur der zweite hörbar gelöst – und dieser zweite wird dann auch stimmlos gesprochen.
Junos Bett beziehen – [ˈd̥ʒ̥uːnos bɛt bəˈt͡siːhən] wäre unnatürliche Überartikulation.
Stattdessen sagt man so wie er: [ˈd̥ʒ̥uːnosb̥ɛt̚b̥əˈt͡siːn]
Tipp zum Üben von Assmilationen in der deutschen Aussprache
Ihr könnt versuchen, nur diese Assimilation zu üben, indem ihr sagt: [sb̥ɛt̚b̥ə], [sb̥ɛt̚b̥əˈt͡siːn], [ˈd̥ʒ̥uːnosb̥ɛt̚b̥əˈt͡siːn].
Jetzt hören wir das dreimal und ihr könnt Shadowing machen.
Ich weiß nicht, David.
Hier haben wir etwas, das für die deutsche Aussprache bzw. genauer gesagt für die deutsche Akzentuierung sehr typisch ist: Vielleicht habt ihr ja schon mal gehört, dass betonte Silben (akzentuierte Silben) immer höher gesprochen werden. Das muss im Deutschen nicht so sein. Hier haben wir ein schönes Beispiel dafür, wo die akzentuierte Silbe mit deutlich tieferen Tönen gesprochen wurde.
Im Deutschen gibt es auch die Auslautverhärtung. Deswegen sprechen wir „David“ am Ende mit [t].
Statt [nɪçt] sagt sie [nɪç] und auch sie macht hier keine Pausen zwischen den Wörtern, wodurch es also auch wieder zu Assimilationen kommt. „ich weiß“ – hier macht der Ich-Laut das [v] stimmlos. Es ist also nicht [ɪʝˈvaɪ̯s], sondern [ɪçˈv̥aɪ̯s]. Und durch den Ich-Laut am Ende von „nicht“, wird auch das [d] am Anfang von „David“ stimmlos. Es ist also nicht sowas wie [nɪʝˈdaːvɪt], sondern [nɪçˈd̥aːvɪt].
Sie sollte die ersten Nächte noch bei uns schlafen, //
Auch hier geht der Primärakzent mit der Melodie nach unten und der Vokal ist [ʊ] wie in „Bus“, kein [uː] wie in „Schule“.
Im Deutschen werden Vokale nicht einfach länger gemacht oder anderweitig verändert, nur weil die Silbe akzentuiert ist.
Also nicht [baɪ̯ ˈʔuːns], sondern [baɪ̯ ˈʔʊns].
Beachtet hier den Knacklaut (oder auch Glottischlag). Da das Wort eben mit einem Vokal beginnt und den Akzent trägt, muss hier dieser Knacklaut gesprochen werden. Wir können jetzt also nicht sagen [baɪ̯͜ ˈuːns] – wir können jetzt die Wörter nicht verbinden. Hier müssen wir [baɪ̯ ˈʔuːns] sagen. Das gleiche haben wir bei der Phrase „die ersten Nächte“. Wir können nicht sagen [di ͜ˌɛɐ̯stn̩ˈnɛçtə], sondern [diˌʔɛɐ̯stn̩ˈnɛçtə].
Beachtet, dass sie nicht [ˈɛɐ̯stən], sondern [ˈɛɐ̯stn̩] sagt. Sie tilgt also das e-Schwa und infolgedessen wird der Plosiv /t/ wieder nicht als richtiges [t] gesprochen, sondern durch die Nase gedrückt, wegen dem nasalen Konsonanten [n]. Das ist übrigens eine regressive Assimilation, denn der nasale Konsonant [n] – also der, der als zweites gesprochen wird – verändert den Konsonanten davor – in diesem Fall [t]. Das ist einer der Fälle, in denen es im Deutschen zur regressiven Assimilation kommt, in denen also der Konsonant, der als zweites gesprochen wird, den davor beeinflusst.
Zwischen den Wörtern „noch“ und „bei“ kommt es wieder zur progressiven Assimilation: Hier beeinflusst also der erste Laut (das ist der Ach-Laut) den nächsten Laut (das ist das [b] am Anfang von „bei“). Dieses [b] wird also auch stimmlos, wegen dem stimmlosen Ach-Laut.
„noch bei uns schlafen“ – keine Pause zwischen „uns“ und „schlafen“, also „uns schlafen“ [ˈʊnsʃlaːfn̩], [sʃ].
Und „schlafen“ natürlich ohne e-Schwa, als also nicht [ˈʃlaːfən], sondern [ʃlaːfn̩].
Der Vokal [iː] in den Wörtern „sie“ und „die“ – das ist der gespannte i-Vokal – und der ist normalerweise lang, wenn wir diese Wörter alleine sprechen würden: [ziː], [diː]. Hier sind diese Wörter – wie so oft im Satz – aber nicht akzentuiert und deswegen ist der Vokal deutlich kürzer.
Falls es in diesem Beitrag was gibt, was euch zu kompliziert erscheint bzw. wozu ihr euch eine detailliertere Erklärung wünscht, dann schreibt mir das doch bitte in die Kommentare und dann kann ich versuchen, zu diesem Thema, zu diesem Aspekt auch noch ein Video zu machen.
zumindest bis die Albträume aufhören.
Ich glaube, den Mythos, dass akzentuierte, also betonte Silben immer höher gesprochen werden, konnte ich mit diesem Video hier ein für alle Mal widerlegen. Das ist also falsch. Denn auch hier hören wir ja wieder, dass die Melodie im Primärakzent nach unten geht.
Bleiben wir bei diesem Wort (Albträume): Sie sagt nicht [ˈalptʁ̥ɔɪ̯mə], sondern [ˈalp̚tʁ̥ɔɪ̯mə].
„bis die Albträume aufhören“ – hier haben wir ja wieder zwei Plosive, genau wie bei der Phrase „Bett beziehen“ vorhin – da war es das [t] am Ende von „Bett“ und das [b] am Anfang von „beziehen“. Und jetzt ist es [p] am Ende der Silbe „Alp-“ und [t] am Anfang der Silbe „-träu-“. Und in solchen Fällen wird nur der zweite Plosiv hörbar gelöst, also [ˈalp̚tʁ̥ɔɪ̯mə]. Die Lippen kommen schon zusammen für dieses [p̚], aber der Verschluss der Lippen wird eben nicht hörbar gelöst. Hörbar gelöst wird erst [t]. Und dieser Konsonant ist stimmlos und beeinflusst den Konsonanten danach – das R. Das wird auch stimmlos, also nicht [ˈalb̚dʁɔɪ̯mə] oder sowas, sondern [ˈalp̚tʁ̥ɔɪ̯mə], [tʁ̥] – stimmlos.
Das Wort „zumindest“ sagt sie mit [ʊ] in der ersten Silbe, also nicht [t͡su], sondern [t͡sʊ]. In der letzten Silbe dieses Wortes höre ich einen Vokal, der weiter vorne ist, als das e-Schwa, das wir dort vielleicht erwarten würden, nämlich [ɪ] – der ungespannte Vokal [ɪ] wie in „bitte“, oder wie auch in der Silbe davor „-min-“ und in dem Wort danach „bis“. [ˈmɪndɪsb̥ɪs], [t͡sʊˈmɪndɪsb̥ɪs]. Außerdem spricht sie das Wort tatsächlich komplett ohne [t]. In diesem Fall ist es nicht einfach nur der Fall wie vorhin, dass wir zwei Plosive haben – [t] und [b] – die aufeinandertreffen, sondern hier wurde [t] komplett weggelassen. Das liegt daran, dass davor [s] und danach ein Plosiv ist. Zwischen den ersten drei Wörtern kommt es natürlich auch zu progressiven Assimilationen, wo jeweils der stimmlose Konsonant den nächsten auch stimmlos macht.
Man beachte auch mal, wie sie das Wort „aufhören“ ausspricht. Der Konsonant [f] hat ja dieses starke Reibegeräusch und das führt dazu, dass dieses H hier fast gar nicht mehr da ist: [ˈaʊ̯føɐ̯n]. Und natürlich fällt auf, dass sie nur zwei Silben spricht. Statt [ˈaʊ̯fhøːʁən] sagt sie ja [ˈaʊ̯føɐ̯n]. Sie tilgt also wieder das e-Schwa in der Endung, was jetzt zur Folge hat, dass der Buchstabe R innerhalb einer Silbe direkt nach dem Vokal [ø] steht und in solchen Fällen wird R vokalisch als a-Schwa gesprochen. Es entsteht also ein Diphthong, der aus dem [ø] und dem [ɐ], also dem a-Schwa, besteht: [øɐ̯], [ˈaʊ̯føɐ̯n].
Ich glaube, sie braucht noch etwas Zeit.
Große Überraschung: Die primär akzentuierte Silbe „Zeit“ wurde hier auch wieder mit tieferen Tönen realisiert. Vorsicht! Das ist natürlich nicht immer so!
In dieser Szene haben wir jetzt viele Beispiele gehabt, in der akzentuierte Silben mit tieferen Tönen gesprochen wurden, aber wie gesagt: das ist nicht immer so, es gibt natürlich im Deutschen auch viele Fälle, in denen wir Silben mit der Melodie nach oben akzentuieren.
Gehen wir an den Anfang dieser Gruppe. Bei „ich glaube“ höre ich eine progressive Assimilation, nämlich, wo der Ich-Laut, der ja ein stimmloser Konsonant ist, den folgenden Konsonanten [g] auch stimmlos macht. Sie sagt ja nicht [ɪʝˈglaʊ̯bə], sondern [ɪçˈg̥laʊ̯bə].
Der Vokal in dem Wort „sie“ wurde hier wieder kürzer gesprochen, weil das Wort ja auch hier wieder nicht akzentuiert ist. Es ist aber eben trotzdem immer noch ein gespannter Vokal, also [i], und nicht etwa ein ungespannter Vokal, also es wird nicht [ɪ] draus.
Dann natürlich keine Pausen zwischen den Wörtern. Eine Besonderheit haben wir hier zwischen den Wörtern „noch“ und „etwas“. „etwas“ beginnt zwar mit einem Vokal, aber beide Wörter sind nicht akzentuiert. Deswegen muss hier kein Knacklaut gesprochen werden. Sie spricht keinen. Sie sagt nicht [nɔx ʔɛtv̥as ˈt͡saɪ̯t], sondern nur [nɔxɛtv̥as ˈt͡saɪ̯t].
Nicht-akzentuierte (= unbetonte) Wörter und Silben, die mit einem Vokal beginnen, können mit oder ohne Knacklaut gesprochen werden.
Innerhalb des Wortes „etwas“ kommt es zur progressiven Assimilation, infolge derer das [t] den Konsonanten [v] auch stimmlos macht. Es ist also nicht [ˈɛdvas], sondern [ˈɛtv̥as].
Außerdem sagt sie nicht [ˈbʁaʊ̯χt nɔχ], sondern [ˈbʁaʊ̯χtⁿ͜nɔχ], genau wie beim Wort [ˈɛɐ̯stn̩] haben wir also hier auch zwischen zwei Wörtern diese regressive Assimilation von dem nasalen Konsonanten [n] zu [t], sodass also dieses [t] durch die Nase gedrückt wird.
Wie ich vorhin schon gesagt sagt habe: Wenn euch diese Assimilation schwer fällt, dann könnt ihr versuchen, nur die Assimilation zu üben, indem ihr sagt [ziˈbʁaʊ̯χ tⁿnɔχ], [tⁿnɔχ], [ziˈbʁaʊ̯χ tⁿnɔχ], [ziˌbʁaʊ̯χ tⁿnɔχɛtv̥asˈt͡saɪ̯t].
Welche Information war heute neu für euch? Was wollt ihr unbedingt aus diesem Video mitnehmen?
Schreibt mir das doch mal in die Kommentare! Danke fürs Zuschauen.
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